Jakob Senn (1824 - 1879)

 

Beitrag auf Radio SRF2 Kultur vom 11.01.24

 

 

Ein Autodidakt gegen alle Widerstände

Radio SRF2 Kontext vom 9.02.24 anhören (30'):

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Der «Grüne Heinrich»

von Fischenthal

 

Eine Zeitreise ins 19. Jahrhundert

zu den Anfängen allgemeiner

Lese- und Schreibbefähigung

 

Lesen, Schreiben und die Verfügbarkeit von Texten sind für heutige Generationen eine Selbstverständlichkeit

Die Wanderausstellung zum 200. Geburtstag des Zürcher Oberländer Dichters Jakob Senn öffnet bildhaft und anekdotenreich einen exemplarischen Blick auf die Anfänge der Alphabetisierung und Literarisierung der Landbevölkerung

Zu erleben von Januar bis Oktober 2024 in Zürich, Kilchberg, St.Gallen,

Glattfelden, Fischingen und Bäretswil

 

Literatur und Geschichtsschreibung

 

Der Roman «Hans Grünauer» und ein Tagebuch als Glücksfall

 

Vom Heimweber zum Dichter: Jakob Senns literarische Verarbeitung dieser eigenen spannenden Entwicklung ist das eine. Deren historische Genauigkeit, die sich vielfach im Tagebuch des jüngeren Bruders Heinrich Senn spiegelt, ist das andere. Das Zusammenspiel der Quellen erlaubt es, einen allgemeingültigen Blick auf die ländlichen Bildungsbestrebungen im vorletzten Jahrhundert zu werfen.

 

Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein haben die Landschulen den Kindern das Lesen meist nur in Form mechanischen Buchstabierens beizubringen vermocht. Das Lesebedürfnis hat sich deshalb bei der breiten Masse lange Zeit in Grenzen gehalten. Erst durch die Schulreform der 1830er Jahre wird die Alphabetisierung und Literarisierung der Landbevölkerung energisch vorangetrieben.

 

Die politischen Auseinandersetzungen zwischen den fortschrittlichen und konservativen Parteien, die 1839 zum Sturz der liberalen Zürcher Regierung, 1847 zum Sonderbundskrieg und 1848 zur Gründung des Schweizer Bundesstaates führen, schüren daraufhin das allgemeine Informationsbedürfnis, das angesichts der demokratischen Bewegung der 1860er Jahre noch einmal anschwillt.

 

So entsteht auch auf dem Land nach und nach zuerst ein lokaler Zeitungs- und  später auch ein lokaler Buchmarkt.

 

 

Der exemplarische Fall Jakob Senns zeigt, auf welch mühsamen Wegen sich die zunehmend leselustige Zürcher Landbevölkerung in den 1830er und 1840er Jahren ihre Lektüre beschaffen musste, bevor sie sich ab den 1850er Jahren plötzlich mit einem Überangebot an Büchern konfrontiert sah.

 

Ausstellung und Begleitprogramm zeichnen gleichzeitig ein eindrückliches Bild vom widerständigen geistigen Klima, das damals auf dem Land herrschte. Die lterarischen Bestrebungen der Brüder Jakob und Heinrich Senn stiessen im kleinbäuerlichen Elternhaus auf vollkommenes Unverständnis. Sie mussten sich ihre autodidaktische Weiterbildung hartnäckig erkämpfen und die Zeit zum Lesen und Schreiben dem Schlaf abstehlen.

 

Heinrich Senn notiert dazu am 19. Oktober 1850 in sein Tagebuch: Wir schreiben [...] stets in frühen Morgenstunden von 1 bis 5 Uhr, wenn die Leute gewöhnlich noch schlafen.